Sind Journalisten „Ketzer an der Statistik“ und wenn ja, was bedeutet das für die PR-Arbeit?
Kürzlich hatte ich mit einem Journalisten der BILD Zeitung, nennen wir ihn Christian F., eine Diskussion auf Facebook zum Thema Umfragen. Seine Zeitung hatte die Qualität des DNN-Barometers, das vom Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden (IFK) durchgeführt wird, angezweifelt. Zitat: „Ob das jämmerliche eine Prozent (das bei der Befragung des IFK als derzeitige Zustimmung für die Dresdner FDP ermittelt wurde Anm. d. Red.) reell ist, darf getrost angezweifelt werden. Gerade 521 von über 500 000 Dresdnern wurden nämlich vom Institut für Kommunikationswissenschaften der TU Dresden befragt“. Tatsächlich ist der verantwortliche BILD Journalist mit dieser Meinung nicht alleine. Viele Menschen hegen eine große Skepsis gegenüber Umfrageergebnissen. „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“, lautet ein beliebtes Vorurteil. Und gerade die kleine Zahl der Befragten weckt grundsätzlich Misstrauen, weil es dem gesunden Menschenverstand widerspricht, dass auf der Grundlage einer so geringen Datenbasis verlässliche Ergebnisse herauskommen sollen. Dabei folgt die Methode solcher Befragungen einfach den Gesetzen der Mathematik und die lehren, dass nicht die Größe der Stichprobe für die Qualität von Umfrageergebnissen verantwortlich ist, sondern die Art der Auswahl der Befragten. Im Wesentlichen geht es dabei darum, dass jede Person der Grundgesamtheit die statistisch gleiche Chance haben muss, in die Stichprobe zu gelangen. Wenn dieses Kriterium erfüllt ist, reichen 500 Befragte, um verlässliche Aussagen nicht nur über die Dresdner Bevölkerung, sondern auch über die gesamte Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika (ca. 311 Millionen Menschen) zu treffen. Klingt komisch, ist aber so.
Die Macht der persönlichen Erfahrung
Dass diese Methode tatsächlich gute Ergebnisse produziert, haben das Institut für Demoskopie Allensbach (IFD) und andere Umfrageinstitute in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach bewiesen. Die durchschnittliche Abweichung aller seit 1947 vorliegenden Prognosen des IfD Allensbach liegt absolut bei 1,68 Prozentpunkten. Bei Infas bei 1,70 Prozentpunkten und bei der Forschungsgruppe Wahlen bei 1,72 Prozentpunkten. Eigentlich müsste auch der größte Skeptiker zugeben, dass diese Ergebnisse sehr genau sind und dass Umfragen offensichtlich funktionieren. Mein BILD Journalist hat sich davon aber nicht überzeugen lassen und bezeichnete sich selbst als „Ketzer an der Statistik“ Warum ist das so? Eine vernünftige Erklärung liefern Erkenntnisse aus der Kognitionspsychologie. Menschen verhalten sich demnach alles andere als rational. Sie haben Vorurteile und Ideologien, die sie auch gegen widersprüchliche Informationen verteidigen. Dazu kommt, dass persönliche Erfahrungen einen viel größeren Einfluss auf die Urteilsbildung haben als sachliche Fakten. Denken Sie an eine Person die beabsichtigt, sich ein neues Auto anzuschaffen. Nach intensivem Studium von seriösen Zeitschriften, Statistiken und Expertenmeinungen entscheidet sie sich für einen soliden Mittelklasse-Wagen einer Marke, die sich durch sparsamen Benzinverbrauch und Langlebigkeit auszeichnet. Die Person legt sich fest, noch bis zum Ende der Woche das Automobil zu erwerben. Auf einer Feier trifft die Person dann auf einen Bekannten, dem sie von ihrem Vorhaben berichtet. Der Bekannte erzählt ihr daraufhin eine besonders anschauliche „Horrorgeschichte“ von seinem Schwager, der ein Auto von dieser Marke besaß und ab dem Zeitpunkt des Kaufs nur von Reparaturproblemen verfolgt wurde, bis er letztendlich den Wagen für einen Schrottpreis verkaufen musste. Wird unsere Person immer noch wie vorgesehen zum Auto-Händler gehen? Wahrscheinlich nicht.
Journalisten sind nicht rationaler als der Rest der Bevölkerung
Kognitionspsychologische Mechanismen führen also zu Urteilsfehlern, die aus rationaler Perspektive (hier auch aus Sicht des Autohändlers) zwar bedauerlich, aber eben menschlich verständlich sind. Aber müssten nicht gerade Journalisten einen etwas objektiveren Blick auf die Welt haben? Nach einer Untersuchung des Kommunikationswissenschaftlers Frank Brettschneider bezeichnen immerhin 50 Prozent der Bundespressekonferenzmitglieder Umfragen für ihre Arbeit als “hilfreich” und sogar 64 Prozent sind überzeugt davon, dass man mit Hilfe von Umfragen die Einstellungen der Bevölkerung zu politischen Themen, zu Parteien und zu Politikern messen kann. Im Rahmen der Pressearbeit kann es also durchaus Sinn machen, mit Zahlen und Statistiken aus Umfrageergebnissen zu arbeiten. Trotzdem sollte jedem klar sein, dass eine gute Geschichte oft wirkungsvoller ist als eine gute Statistik. (FH)